Power Yoga. Der „Fitness“-Stil unter den Yoga-Stilen. Bei vielen Yoga-Lehrer/innen kräuseln sich bei diesem Wort schon fast verächtlich die Oberlippen. „Ist doch nur physisch, ist doch kein „echtes“ Yoga“ denken viele. „Ein Trend aus Amerika, entrissen aus seiner Heimat Indien, völlig entfremdet von der Tradition“. Und so weiter und so fort. Fans finden sich unter den „echten“ Yogis und Yoginis wenige. Praktiziert man doch so exotisch klingende Stile wie Asthanga Yoga, Iyengar Yoga, Hatha Yoga, Bikram Yoga, Yoga nach Sivananda, Vini Yoga, Vinyasa Yoga und viele mehr. Halt die „echten“ Stile.
Ich kannte Power Yoga nur oberflächlich. Ich wusste, dass ein Amerikaner diesen Stil „erfunden“ hatte. Ich wusste, dass er schweisstreibend und anstrengend ist. Und in den Stunden, die ich besuchte, musste man nicht singen und für mich – damals seltsam anmutende – Atemübungen machen. Der Stil entsprach mir als sportliche Kampfkünstlerin sehr. Durch die Anstrengung spürte ich die körperlichen Grenzen und konnte an denen arbeiten. Als Mensch mit hohem Energielevel muss ich diese auch wieder loswerden, sonst werde ich unleidig… Und so unterrichte ich auch. Mir ist bewusst, dass viele sich in „meinem“ Yoga nicht wiederfinden werden. Und das ist auch völlig in Ordnung so.
Dass der Gründer des Power Yoga, Bryan Kest, in der Schweiz einen 3.5-stündigen Workshop leiten würde, war für mich ein Glücksfall. Weniger, weil ich „das Original in schweisstreibendem Sport“ kennenlernen oder von ihm lernen wollte. Sondern weil ich erfahren wollte, was seine Gedanken waren, die zum Power Yoga führten. Was ist seine Haltung, was will er bewirken? Was versucht er den Leuten mitzugeben? Welche Hintergründe bewegen ihn in seiner Lektion, in seiner Trainingsplanung?
Und ich habe ihn heute Morgen kennengelernt. Eins vorneweg: Er ist kein typischer Yogi oder gar Guruji. Er ist der Rockstar, der Rebell unter den Yogis. Er ist kontrovers, er polarisiert. Er hinterfragt, er provoziert. Dafür benutzt er auch unkonventionelle Methoden: Er flucht – auf deutsch und englisch. Er rülpst – Sprache unbekannt. 😉
Aber vor allem betont er immer und immer wieder, „be gentle to your body„, „your teacher, your body, is talking to you – listen to him!“. Während den anstrengenden Übungen ermahnt er uns – auf komisch-ironische Weise – den Nachbarn zu ignorieren, nicht in einen Wettstreit der Posen zu geraten. Das Gesicht zu entspannen, weil ein angespanntes Gesicht bereits auf eine innere Anspannung hinweist (und weist uns somit an, die innere Anspannung zu lösen, die Position ein bisschen zu erleichtern). Er lenkt unsere Konzentration immer wieder auf den Atem – und aufs Zuhören. Dem Atem zuhören, dem Körper zuhören, den Gedanken zuhören – oder hören, wie sie leiser werden.
Bryan Kest ist um ein vielfaches philosophischer und weiser als ich erwartet habe. Er hat vieles mehr mit mir gemein als ich dachte. Konzepte nicht einfach kopierend, Dogmen hinterfragend, Autoritäten nicht einfach akzeptierend – ich sehe mich in ihm gespiegelt. Und ich erkenne mich zum grossen Teil in seiner Philosophie (Power Yoga) wieder. Sanftmütig gegenüber dem Körper, ihn nicht auszuleiern (daran arbeite ich noch), und ihn doch auf gesunde Art zu fordern. Auf ihn hören, ihm Gutes tun. Diese Balance versuche auch ich zu finden.
Und vor allem: den Geist beruhigen, fokussieren, still zu werden. Daran arbeite ich schon seit Jahren mittels Meditation.
Yoga ist nicht nur der körperliche Aspekt, die Asanas. Yoga grösser.
Yoga ist der Raum zwischen den Gedanken. Yoga ist der Frieden im Herzen. Yoga ist Freiheit. Und zwar in allem, was wir tun.